Bergrennen in Deutschland

„Die Bergrennszene ist eine große Familie mit viel Herz“

BORGLOH (rsh) Ratlos stand der Fahrer mit seinen beiden Mechanikern vor seinem Rennwagen, in der Hand ein sichtlich nicht richtig funktionierendes Werkzeug. Sein Fahrerlagernachbar bemerkte das und hielt ohne großes Aufhebens sein eigenes hin: „Hier, probiert mal unseres.“

Auf der Rennstrecke fighten sie um Hundertstelsekunden, um Pokale, Preisgelder und Meisterschaftspunkte. Wenn das Helmvisier fällt, wenn der Motor aufheult, wenn die Startampel grün wird, sind Freundschaften vergessen. Bergrennen sind ein Wettkampfsport, und die Fahrer sind ehrgeizige, manchmal scharfe Konkurrenten.

Im Fahrerlager dagegen sind sie Menschen, oft sogar Freunde. Jeder Rennfahrer, jeder Mechaniker kann Geschichten erzählen, wie ein anderes Team ihm mit Rat und Tat zur Seite gestanden hat oder wie er selbst ausgeholfen hat, wenn Not am Mann war.

„Die Bergszene ist eine große Familie mit viel Herz“, schrieb der französische Bergpilot Samy Guth  nach dem Meisterschaftsrennen in Abreschviller auf Facebook. Dankbar erzählte er, wie sein direkter Konkurrent Olivier Berreur, der gerade erst bei einem sehr heftigen Unfall seinen Norma M20 FC schwer beschädigt hatte, ihm seine nun nicht mehr benötigten Regenreifen ausgeliehen hatte, damit wenigstens er den nächsten Lauf im unerwartet schlechten Wetter noch absolvieren konnte.

Auch die ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer sind da, wenn ein Fahrer in der Klemme steckt. Beim Osnabrücker Bergrennen 2023 hatte am Samstag im Training Giovanni Grasso großes Pech: Mitten in der Fahrt schlug plötzlich die Motorhaube seines Renault Clio RS hoch und beschädigte die Windschutzscheibe. Und jetzt? War das Rennen für den Italiener womöglich gelaufen, die weite Anreise umsonst, die gute Saisonplatzierung verschenkt? Zum Glück boten sich noch oben im Ziel helfende Hände an, eine Autoglas-Firma aus der Nähe lieferte eine neue Scheibe… aber es war das falsche Modell, sie passte nicht. Jetzt war guter Rat erst recht teuer.

Das wiederum bekam Dirk Jähne mit, am Uphöfener Berg seit Jahren mitverantwortlich für die Startaufstellung der Fahrzeuge. Er ist selbst motorsportverrückt – und gut vernetzt. „Ich habe einen Kumpel angerufen“, berichtet er, „der fährt selbst einen Clio. Und der hatte noch genau eine passende Windschutzscheibe da. Er hat gleich noch Scheibenkleber dazugepackt.“ Sofort ging es ins Auto, aus Petershagen bei Minden wurde die Scheibe abgeholt. Noch in der Nacht konnte Giovanni Grasso sie einsetzen, und am Sonntag fuhr er prompt den Gruppensieg ein. Auch er bedankte sich öffentlich: „Es ist mir in Deutschland sehr gut ergangen, nicht nur sportlich, sondern auch menschlich. Die Leute vor Ort haben alles darangesetzt, eine Lösung zu finden, damit ich fahren konnte. Darum ist dieser Gruppensieg auch für sie.“

2024 machte sich Dirk Jähne am Osnabrücker Trainingstag abermals mit Werkzeug in der Hand auf den Weg zum Fahrerlagerplatz seines neuen Freundes. „Giovanni braucht wieder meine Hilfe!“

Die Bergszene ist eben eine Familie mit viel Herz.

von Ruth Scheithauer